Anziehungskraft, Vorurteile und gemeine Gerüchte – Regency
„Die pragmatische Lady und der Schönling (
“ von Ester D. JonesMiss Samantha: Zu uncharmant, um einen Gentleman für sich zu gewinnen, sehnt sie sich nach der Liebe eines Mannes, der ihren hohen Ansprüchen gerecht wird.
Lord Blackwell: Von ungerechtfertigten Gerüchten in der Gesellschaft als dumm und oberflächlich abgestempelt, will er den Ursprung der Verleumdungen finden.
Die beiden schließen ein Abkommen, das jedem von ihnen helfen soll, seine Ziele zu erreichen. Doch was passiert, wenn die gemeinsam verbrachte Zeit unerwartete Auswirkungen hat?
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Nach „Die neugierige Lady und das Biest“ der zweite Teil der „Detektivische Affären“-Reihe
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Leseprobe
1. Kapitel
London, Sommer 1820
»Hast du dir schon einen Mann ausgesucht?«, fragte Emilia indiskret und brachte Samantha damit in eine unangenehme Situation.
Sam hüstelte und schüttelte den Kopf. Sie versuchte ihren vermutlich geschockt wirkenden Gesichtsausdruck hinter ihrem Glas zu verbergen, um die anderen Gäste des Balls nicht auf sich aufmerksam zu machen. Hitze stieg in ihre Wangen. Das Thema kam nicht überraschend, und doch fühlte sie sich überrumpelt. Ihr Mund war schlagartig wie ausgetrocknet. Es konnte anstrengend sein, wenn die beste Freundin sich nicht an die eigentlich in der Gesellschaft übliche Zurückhaltung hielt. Man musste jederzeit mit unerwarteten und grenzüberschreitenden Kommentaren rechnen. Üblicherweise wusste sie die Ehrlichkeit ihrer Freundin zu schätzen, doch im Moment war sie von ihrer Direktheit überrumpelt.
»Du musst den Abend nutzen«, fuhr Emilia fort. Sie nickte bekräftigend, bevor sie mit dem Kopf wenig unauffällig nach links deutete. »Sieh dir die stattlichen Gentlemen dort drüben an. Bestimmt können wir einen von ihnen dazu bewegen, dich im ersten Schritt zum Tanz aufzufordern, bevor ihr vor den Altar tretet.«
»Emilia!«, zischte Sam. Nervös sah sie sich um, ob jemand die Bemerkungen ihrer Freundin belauscht hatte. Sie wünschte, sie hätte ihren Fächer nicht zu Hause vergessen, sodass sie sich jetzt dahinter verstecken könnte. Zum Glück schien der Rest der Anwesenden damit beschäftigt zu sein, den neusten Klatsch aufzuschnappen. Hinter vorgehaltenen Händen und schnell flatternden Fächern wurde getuschelt und getratscht. Samantha und ihre Begleitung wurden jedoch ignoriert. Was eine Überraschung darstellte, denn seit Emilia vor einigen Monaten ihr Biest geheiratet hatte, waren die beiden Gesprächsthema bei allen Veranstaltungen gewesen.
Dennoch kämpfte Samantha gegen einen Anfall von Eifersucht an. Ihre Freundin hatte einen Mann gefunden, der sie für ihre Eigenheiten liebte und sie genauso sein ließ, wie sie war. Lord Fetching, ein Riese von einem Mann mit einem eigenwilligen Gesicht und einem großen Herzen, hatte Emilia im Sturm erobert. Die beiden wirkten so glücklich, dass in Samantha trotz ihres fehlenden Verständnisses für Romantik der Wunsch nach einem Ehemann geweckt worden war.
Natürlich würde sie das niemals laut aussprechen. Schon gar nicht Emilia gegenüber, die es sich ohnehin in den Kopf gesetzt hatte, sie verkuppeln zu wollen. Ein Glück, dass Sams Eltern sich nicht in der Stadt befanden und Lord Fetching gebeten hatte, an diesem Abend die Obhut über ihre Sicherheit zu übernehmen. So konnte Sam die Zeit mit ihrer Freundin nutzen. Auch wenn Emilias Gegenwart im Moment doch ein wenig an Samanthas Nervenkostüm kratzte.
Sie wollte den Abend genießen. Das flackernde Licht von unzähligen Kerzen zauberte eine romantische Atmosphäre. Die Kapelle spielte leise Musik, zu der sich Paare im Kreis drehten. Sich in diesem Umfeld zu verlieben, sollte kein Problem darstellen. Und doch fühlte sich Samantha von den stimmungsvollen Schwingungen nur erdrückt. Vielleicht war sie keine richtige Frau, wenn das pittoreske Ambiente nicht auf sie übersprang und keinerlei Wirkung zeigte. Möglicherweise würde es ihr niemals gelingen, Liebe zu finden. Unter Umständen musste sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sie keinen Mann für sich erwärmen konnte. Doch ihre Befürchtungen sollte sie Emilia gegenüber wohl besser nicht gestehen. Ihre Freundin hätte bestimmt einige anstrengende Vorschläge, wie sie das Problem beheben konnten.
»Auf diesem Ball sind so viele nette, unverheiratete Gentlemen anwesend, dass dir die Wahl nicht schwerfallen sollte«, behauptete Emilia in diesem Moment. »Einige der Herren kommen meiner Meinung nach nicht infrage, ohne dass wir sie einer genaueren Überprüfung unterziehen. Möglicherweise war es ein Fehler, dass ich nicht bereits vorab Informationen über potentielle Ehegatten eingeholt habe. Das werde ich gleich morgen nachholen. Allerdings solltest du dich mit dem einen oder anderen unterhalten, um dir ganz sicher sein zu können, dass sie dir wirklich nicht gefallen.«
»Ich danke dir für deine Mühe, die du dir völlig unnötig mit der Suche nach einem geeigneten Heiratskandidaten für mich machst.« Samantha bemühte sich, ein unbeschwertes Lächeln zu zeigen, obwohl ihr die Angelegenheit hochnotpeinlich war. »Vielleicht verschieben wir die Unterhaltung auf einen Nachmittag, den wir allein in einem privaten Salon verbringen.«
»Wir befinden uns aber jetzt auf einem Ball, auf dem wir erste Schritte setzen können. Willst du nicht einmal einen genaueren Blick in die Runde werfen?« Der Ausdruck in Emilias Augen war bittend.
Auch wenn die Freundin es nur gut meinte, wünschte Sam im Moment, dass Hartnäckigkeit nicht zu den hervorstechendsten Charaktereigenschaften der neuen Lady Fetching gehören würde.
Emilia griff nach zwei Gläsern Punsch von einem Tablett eines durch die Menge flanierenden Kellners und reichte Samantha eins davon. »Du weißt, dass ich es nur gut mit dir meine, nicht wahr? Als wir uns auf die Suche nach dem Schatz gemacht haben, hast du deutlich gezeigt, einer Ehe nicht in dem Ausmaß abgeneigt zu sein, wie du mir vorgespielt hast.«
Sams Blick flog zu der Brosche, die den Ausschnitt von Emilias Kleid zierte. Ein wunderschöner roter Stein, der für so viel mehr stand. Dieses Schmuckstück hatte William und Emilia zusammengeführt. Dieser Schatz hatte sie ihre Liebe füreinander erkennen lassen.
Nachdem Emilia an ihrem Punsch genippt hatte, beugte sie sich näher zu Sam. »In der Gruppe der Gentlemen dort drüben ist vielleicht ein stattlicher Mann, der dir gefallen könnte. Reginald scheint die Herrschaften gut zu kennen. Willst du nicht zumindest einen Blick riskieren?«
Als Samantha ohne nachzudenken genau das tat, bemerkte sie neben Emilias Bruder einen Schopf dunkler Haare, der ihre Aufmerksamkeit sofort auf sich zog. Die breiten Schultern, der schmale Rücken, diese langen Beine … Sie wusste augenblicklich, wessen Rückenansicht sie da gerade betrachtete.
Lord Blackwell war ein Gespenst ihrer Kindheit. Bei Jonathan handelte es sich um ihren Cousin, mit dem sie in jungen Jahren viel Zeit verbracht hatte. Inzwischen war der Kontakt fast nicht mehr existent. Nachdem Jonathan den Titel von seinem Vater geerbt hatte, schienen Treffen mit dem Rest der Familie zu einer lästigen Pflicht für ihn geworden zu sein, vor der er sich gern drückte. Sam war bereit anzuerkennen, dass er vermutlich hauptsächlich damit beschäftigt war, die Erwartungen seiner Mutter in ihn zu erfüllen. Die Sorgen, die sich Tante Helen um ihren Sohn machte, waren begründet, wenn man bedachte, wie sehr sein Ruf in den letzten Monaten gelitten hatte.
Schönling! So hatte Sam ihn bereits genannt, als klar geworden war, dass aus ihm ein stattlicher junger Mann werden würde. Damals hatte er sich über dieses Lob gefreut. Inzwischen benutzte man diesen Spitznamen allerdings, um deutlich zu machen, dass er nicht viel mehr als ein hübsches Gesicht zu bieten hatte.
Ein perfektes Gesicht. Die Erinnerung an die Intensität des Blaus seiner Augen reichte aus, um ihren Puls in die Höhe zu jagen. Tatsächlich hatte er sich ihr gegenüber früher nicht sonderlich charmant verhalten. Auch wenn sie der Meinung war, dass es sich bei ihm nicht um einen Dummkopf handelte, wie die Gesellschaft seit Neuestem andeutete, hatte er die bissigen Kommentare zum Teil verdient.
Nein, nicht nur das war ein Grund, weshalb er nicht als potentieller Ehemann infrage kam. Als junges Ding hatte sie heimlich für ihn geschwärmt. Sollte er jemals davon erfahren, würde er sie für den Rest ihres Lebens damit aufziehen. Ganz offensichtlich sah er sie nicht als Frau, weshalb sie sich die Vernarrtheit in ihn abgewöhnt hatte. Auch die anderen Gentlemen, in deren Gesellschaft er sich gerade befand, standen nicht als mögliche Gatten zur Debatte. Sie wollte sich mit keinem Mann beschäftigen, den Jonathan möglicherweise als Freund bezeichnete. Lieber ging sie ihm aus dem Weg und blieb allein.
»Ich denke, unter diesen Gentlemen befindet sich kein geeigneter Kandidat«, stellte sie fest.
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