„Die verlorene Liebe des Earls (Der Gentleman seines Herzens Teil 2)“ von Ester D. Jones

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Zwei Earls, zwei Kontinente und eine verlorene Liebe – ReGAYcy

„Die verlorene Liebe des Earls (Der Gentleman seines Herzens Teil 2)“ von Ester D. Jones

Sebastian, Earl of Broomfield, hat den Menschen verloren, dem sein Herz gehört: den ehrbaren Lucien, Earl of Westminster.
Sein Liebster errichtet sich in der Ferne ein neues Leben und Sebastian arrangiert sich mit seiner erzwungenen Situation.
Doch während beide Männer ein wenig Frieden mit ihrem neuen Leben finden, bedecken dunkle Schatten der Vergangenheit ihr beider zerbrechliches Glück. Das Schicksal und ein schrecklicher Verlust führen sie erneut zusammen. Zweifel und Sehnsucht werfen alte Gefühle und neue Fragen auf: Haben Sebastian und Lucian damals die richtige Entscheidung getroffen? Und wie sollen sie mit dieser Anziehungskraft umgehen, die immer noch zwischen ihnen herrscht und die ein ganzer Ozean nicht schmälern kann?

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Leseprobe

1. Kapitel

Longfield, Amerika / 26. Dezember 1790

Sebastian,

ich danke dir für deinen Brief, der mich in den letzten Tagen dieses Jahres erreicht hat. Deine Worte bedeuten mir so unendlich viel. Ich habe nicht zu hoffen gewagt, du würdest einen geheimen Briefkontakt mit mir in Betracht ziehen. Mir ist bewusst, in welch komplizierte Lage dich das Rose gegenüber bringen muss. Von den anderen Verwirrungen will ich gar nicht sprechen.

Ich möchte mich auch für deine Offenheit bedanken. Sie kann dir nicht leicht gefallen sein. Doch mich erfüllt sie mit Erleichterung. Ich habe meine Schwester falsch eingeschätzt. Ich habe sie zu sehr verhätschelt und trage die Verantwortung für ihre egozentrische Sicht auf die Welt. Hätte ich sie rechtzeitig gelehrt, Rücksicht auf die Wünsche und Träume anderer zu nehmen, wäre unser beider Situation heute vielleicht anders. Doch geschehen ist geschehen.

Auch wenn ich dir diese drei besonderen Worte niemals wieder sagen darf, haben sie an Wahrhaftigkeit nichts verloren. Nun zu wissen, dass du ähnlich für mich empfunden hast, schenkt mir einen Frieden, den ich nicht verdient habe. Das Schicksal kann mich nicht narren. Meine Dunkelheit hätte dein Licht ohnehin verschluckt.

Zu dem neuen Familienmitglied, das sich angekündigt hat, gratuliere ich schon jetzt recht herzlich. Ich hoffe, Rose und du werdet durch dieses gemeinsame Kind Glück finden. All die Opfer sollen nicht umsonst gewesen sein. Ich kann die Angst nachvollziehen, mit der die zukünftige Rolle dich erfüllt. Allerdings kann ich mir niemanden vorstellen, der ein Kind besser auf die Anforderungen und die Gefahren des Lebens vorbereiten könnte. Niemanden, der ihm besser die Freude und die Schönheit dieser Welt vermitteln könnte.

Ich verstehe deine Besorgnis, kein rühmliches Vorbild für diese Aufgabe zu haben. Doch zweifle nicht an dir. Ich werde es niemals wieder tun, weil ich die Reinheit deines Herzens gesehen habe. Was auch immer geschehen mag, halte an deinem Glauben an dich fest, genauso wie ich es tue.

Mach dir keine Sorgen um meine Lebensumstände. Die Winter in Amerika sind nicht härter als in England. Timothy und ich haben ein kleines Haus gefunden, in dem wir uns sehr wohl fühlen. Es bietet natürlich bei Weitem nicht so viel Platz wie der alte Familiensitz in London. Der Haushalt lässt sich allerdings mit Hilfe von nur einer Angestellten führen. In unserem Wohnzimmer steht seit nunmehr einer Woche eine Weihnachtskrippe. Timothy ist der Meinung, in einem Junggesellen-Haushalt gäbe es für Puppen keine Notwendigkeit. Doch selbst in der Ferne mag mir ein wenig Altbekanntes erlaubt sein. Mrs. Hoover, die Haushälterin, hat es geschafft, zum Weihnachtsessen eine Gans zu besorgen. Du siehst, es fehlt an nichts.

Auch wenn die Firma, in die ich investiert habe, einiges abwirft, habe ich Felder angemietet und einen Vorarbeiter aufgenommen. Mr. Conrad scheint mir ein fähiger, junger Mann zu sein. Er spricht bereits mit Männern aus der Umgebung, damit wir im Frühjahr genug Helfer für die Farmarbeit haben.

Seltsamerweise fühlt es sich gut an, mit drei anderen Menschen auf so engem Raum zusammenzuleben. In London bestanden meine Tage aus freiwilliger Isolation und einem ruhigen Alltag. Nun ist mein Leben gekennzeichnet von Trubel und vielen Stimmen im ganzen Haus. Meine Gedanken werden von Dingen beschäftigt, mit denen ich noch vor ein paar Monaten nichts zu tun hatte. All die steifen Vorgaben der Gesellschaft spielen hier keine Rolle. Du wirst es an meiner direkteren Schreibweise bemerken. Überraschenderweise genieße ich die zwangslosen Momente mit Menschen, für die meine Abstammung keine Rolle spielt. Die Ablenkungen sind Balsam für meine Seele.

Ich hoffe, wieder von dir zu hören. Lass mich wissen, ob ich Onkel einer Nichte oder eines Neffen geworden bin. Schon jetzt wünsche ich alles Gute für Rose und dich, eure Ehe, eure Liebe, eure Kinder, und bin stolz, einen ehrenwerten Gentleman wie dich und bald auch Kinder in der Familie willkommen heißen zu dürfen.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Lucian

Niemand von Nichts in diesem wunderschönen Land

 

2. Kapitel

London, England / Frühjahr 1791

Der spitze Schrei einer Frau ließ Sebastian hochschrecken. Mit einem Blick auf die Standuhr in seinem Malzimmer stellte er fest, bereits seit zwei Stunden an dem Gemälde zu arbeiten.

Noch ein schmerzerfüllter Schrei. Rose hatte sich bereits vor einiger Zeit in ihr Schlafgemach zurückgezogen, weil sie sich unwohl gefühlt hatte. Stammten die Laute von ihr? War ihr etwas zugestoßen?

Sebastian legte den Pinsel zur Seite und verließ den Raum. Als er den Gang entlang eilte, öffnete Roses Zofe Marie gerade die Schlafzimmertür zu seiner Frau.

»Was ist geschehen?«, erkundigte er sich atemlos. Mochte er Rose ihren Verrat auch noch immer nicht vergeben haben, so machte er sich dennoch Sorgen um sie.

»Die Wehen haben eingesetzt, kurz nachdem Lady Rose Wasser verloren hat«, berichtete Marie. »Ich werde nach der Hebamme rufen lassen.«

Sebastian schüttelte den Kopf. »Bleib bei Lady Rose«, befahl er. »Um die Hebamme und einen Arzt kümmere ich mich.«

»Natürlich, Mylord.« Marie verschwand wieder in Roses Schlafgemach, aus dem leises Wimmern zu hören war.

Er machte sich auf die Suche nach seinem Vater. Nun war es also soweit. Nun würde er Vater werden. Dieser Moment hatte ihn mit Angst und Unsicherheit erfüllt. Was, wenn er seinem Kind nicht der Vater sein konnte, den es verdient hatte? Es schien, als stünde er vor einem unlösbaren mathematischen Problem bei der Aufstellung des Familienvermögens. Mit Zahlen kannte er sich in der Praxis aus. Doch wenn am Ende die Summe hier nicht stimmte, würde in diesem Fall dem Leben eines Menschen nicht ausreichend Rechnung getragen. Sein Hals war wie zugeschnürt.

»Jeremy!« Selbst als er die Stufen in die Eingangshalle hinunterlief, war von dem Diener nichts zu sehen. Noch einmal rief er nach seinem Vater.

»Mylord?« Jeremy trat aus dem Salon, einen Staubwedel in der Hand.

»Die Wehen haben eingesetzt. Lass die Hebamme und einen Arzt kommen. Man muss sich um Lady Rose kümmern. Wenn dem Kind etwas passiert …« Das Gesicht seines Vaters verschwamm vor seinen Augen.

Jeremy legte Sebastian beide Hände auf die Schultern und half ihm, auf einer der Stufen in das Obergeschoss Platz zu nehmen. Sebastian konnte hören, wie sein Vater Anweisungen brüllte und für ihn das Kommando übernahm. Schwärze breitete sich vor Sebastians Augen aus, raubte ihm die Sicht. Was geschah nur mit ihm?

Jemand strich über seine Schultern. Die sanfte, beruhigende Stimme seines Vaters erklang neben ihm. »Versucht, Euch zu beruhigen. Atmet tief ein und aus. Das Kind wird gesund auf die Welt kommen, wie es meist der Fall ist. Lady Rose wird dabei nichts geschehen.«

Was für ein schlechter Mensch er war, kurzzeitig den verlockenden Ruf der Freiheit zu vernehmen. Nicht mehr an Rose gebunden zu sein … Er schüttelte den grausamen Gedanken ab. »Aber danach wartet erst die schwerste Prüfung auf mich. Wie soll ich dieses Kind zu einem selbstbewussten Wesen mit Sinn für Recht und Unrecht erziehen? Die Zustände in unserer Familie sind nicht dazu gedacht, als Vorbild für einen ehrenwerten Charakter zu dienen.«

»Ihr kränkt nicht nur Lady Rose mit diesen Worten«, gab Jeremy mit tadelndem Tonfall zu bedenken. »Ihr setzt Euch selbst herab. Euer Charakter würde niemals in Frage gestellt werden. Lady Rose mag Euch hintergangen haben. Sie hat ihren Fehler inzwischen aber tausendmal bereut. Einen negativen Einfluss durch ihre Person auf Euer Kind müsst Ihr deshalb nicht fürchten. Und was die Großeltern Eures Nachkommen betrifft, so wird der Ruf der Familie Broomfield ein helles Licht durch die Zeit leuchten.«

Langsam wich die Dunkelheit vor Sebastians Blick. »Du weißt zu gut, dass kein Broomfieldsches Blut durch die Adern meines Kindes fließt.«

»Das wird niemand Außenstehendes erfahren.«

Sebastian erkannte endlich Jeremys Gesicht. »Irgendwann möchte ich ihm die Wahrheit sagen. Keine Lügen mehr. Den Rest der Welt gehen unsere Familienverhältnisse nichts an. Doch mein Kind soll jedes Detail seiner Herkunft kennen.«

»Ein ehrenwerter Plan. Ich bitte Euch dennoch, genau zu überlegen, bevor Ihr ihn in die Tat umsetzt. Ein einziges unbedachtes Wort an falscher Stelle, und das Geheimnis ist keines mehr.«

Er nickte. Sein Vater klang besorgt. Dabei sollte er doch längst wissen, wie stolz Sebastian darauf war, in Jeremy vor all den Jahren eine Vaterfigur gefunden zu haben, als er noch nichts von ihrem wahren Verwandtschaftsverhältnis geahnt hatte. Sebastian wollte die Wahrheit hinausschreien, allen erzählen, wie dankbar er für die Opfer war, die sein Vater für ihn gebracht hatte. Aber er war sich gleichzeitig der Folgen überdeutlich bewusst. Und nun, da es schien, als würde er innerhalb der nächsten Stunden selbst Vater werden, betraf seine Entscheidung, sein Wissen hinauszuposaunen, nicht länger ihn alleine. Sein Kind sollte unter dem Schutz des Namens Broomfield aufwachsen. Es hatte ohnehin die Last etlicher Geheimnisse zu tragen.

»Es wird dauern, bis Ihr Euer Kind im Arm haltet«, gab Jeremy zu bedenken. »Wartet im Salon. Ich werde Euch Euer liebstes Buch bringen, damit Ihr Euch ablenken könnt.«

»Sollte ich nicht zu Lady Rose …«

»Im Augenblick könnt Ihr nicht helfen. Versucht lieber, Eure Besorgnis unter Kontrolle zu bekommen, damit Ihr Eure Gattin nicht in Schrecken versetzt.«

Sebastian ließ sich von Jeremy helfen, als er schwankend auf die Beine kam. »Du hast Recht. So peinlich es ist, die Überraschung hat mich in mehr als einer Hinsicht aus dem Gleichgewicht gebracht.«

»Wer hätte dafür kein Verständnis? Ich kann mich noch genau erinnern, als Ihr damals …« Jeremy verstummte.

»Ja?«

Sein Vater schüttelte den Kopf. »Ich habe kein Recht, Euch mit meinen Visionen der Vergangenheit zu quälen. Gönnt Euch ein wenig Ruhe. Die Zeit, die jetzt vor Euch liegt, wird anstrengend genug.«

Sebastian hielt Jeremy am Arm fest, als er sich entfernen wollte. »Leiste mir Gesellschaft. Erzähl mir, wie es für dich war, als ich geboren wurde. Lass mich nicht alleine.«

Jeremy nickte nur zögerlich. »Ganz wie Ihr wünscht. Vermutlich bleibt uns für solch ein ausführliches Gespräch alle Zeit der Welt.«

Tatsächlich saß Sebastian elf Stunden später immer noch im Salon. Die Sonne war längst aufgegangen und schien Sebastian mit den Strahlen, die sie zwischen den Vorhängen hindurchschickte, verhöhnen zu wollen. Der Rest des Hauses lag still da, als würden die Angestellten nur auf Zehenspitzen ihrer Arbeit nachgehen. Das machte alles nur noch schlimmer.

Roses Schmerzensschreie drangen seit einer Stunde bis zu ihm und Jeremy, obwohl sich so viele geschlossene Türen zwischen ihnen befanden. Sebastian glaubte zu hören, dass Rose immer verzweifelter klang. Er weigerte sich zu schlafen. Er war nicht in der Lage, vernünftig zu essen. Er fühlte sich von Schuldgefühlen geplagt, weil er Rose in ihrem Leid nicht helfen konnte. Für ihre Qual trug alleine er die Verantwortung.

Es gelang ihm mit jeder weiteren Stunde weniger, seine Angst in Schach zu halten, Rose und das Kind zu verlieren. Seine Angst verwandelte sich schließlich in schiere Panik, weil er Rose nicht lieben konnte, mit der Schuld an ihrem Tod allerdings auch nicht leben könnte. Er schlug die Hände vors Gesicht. Lucian liebte Rose. Und Sebastian … ihm war wichtig, dass Lucian möglichst glücklich wurde. Es durfte nicht so enden.

Ein weiterer Schrei von Rose.

Sebastian sprang auf. »Ich halte das nicht länger aus. Ich werde jetzt nach ihr sehen. Sie soll das alles nicht alleine durchstehen müssen.«

»Eure Anwesenheit bei der Geburt schickt sich nicht«, wandte Jeremy ein und eilte Sebastian hinterher, als der aus dem Raum stürmte.

»Es klingt, als würde ihr das Herz bei lebendigem Leibe aus der Brust geschnitten. Wenn sie und das Kind diese Tortur nicht überleben …«

Jeremy versuchte Sebastian am Arm festzuhalten, doch der riss sich los. »Der Verlauf einer Geburt ist immer anders. Macht Euch nicht so viele Sorgen. Der Arzt sagte doch, es wäre alles in Ordnung. Wir sollten uns gedulden.«

»Seither sind drei Stunden vergangen, und wir haben den Arzt nicht mehr zu Gesicht bekommen! Ich werde das Gefühl nicht los, dass etwas fürchterlich falsch läuft.« Er rannte die Stufen in den ersten Stock hinauf. Sein Herz pochte schmerzhaft in seiner Brust. Ihm war übel von den Bildern in seinem Kopf. Oh, das alles war ein Albtraum! Aber er würde seine Konsequenzen daraus ziehen.

»Ich kann Eure Besorgnis nachvollziehen. Schließlich handelt es sich um mein Enkelkind«, erinnerte Jeremy mit gesenkter Stimme.

Diese Worte ließen Sebastian stehenbleiben. Den Gang hinunter lag Roses Zimmer. Aber sein Vater hatte Recht. Dort drinnen hatte er nichts zu suchen. »Ich möchte doch nur wissen, ob es ihr gut geht. Sollte sie im Sterben liegen … Ich sollte doch irgendetwas tun. Ihre Hand halten. Ihr beistehen.«

»Ihr dürft nicht in dieses Zimmer.«

Diese verdammten, unsinnigen Regeln der Gesellschaft! Es war nicht recht, Rose alleine zu lassen, während sie vielleicht im Sterben lag. Es kostete ihn unglaublich viel Kraft, nicht zu ihr zu stürmen.

Ein langgezogener Schrei aus Roses Schlafgemach.

Er schwankte wie ein Baum im Sturm. Beinahe glaubte er, Roses Schmerzen spüren zu können, ihre Angst, ihre Verzweiflung. Das hier konnte doch nicht richtig sein! Wie sehr Sebastian wünschte, Lucian wäre bei ihm und würde ihm den richtigen Weg weisen! Er knurrte und rammte seine Faust gegen die Wand.

Noch ein Schrei von Rose. Er schien nicht enden zu wollen.

Sebastian machte einen Schritt Richtung Tür. Er würde das jetzt beenden. Niemand konnte von ihm verlangen, dass er untätig blieb, während …

Mit einem Mal veränderte sich die Tonlage des Schreis. Er wurde immer höher und brach dann ab.

Endlich lief er los. Die Türschnalle lag bereits in seiner Hand, als ein neuer Laut erklang. Der Schrei eines Babys. Das Kind war geboren. Sein Kind!

Sebastians Blick flog zu seinem Vater. Jeremy lächelte ihm zu. Er hörte es auch. Es handelte sich also um keinen Traum von Sebastian. Der Lautstärke des Neugeborenen nach zu urteilen war es gesund und kräftig. Zumindest eine Last wurde von Sebastians Schultern genommen. Doch ging es Rose gut?

Ein Durcheinander von Stimmen drang an sein Ohr. Es gelang Sebastian nicht, sie zu unterscheiden. Schritte waren zu hören. Die Türschnalle in seiner Hand bewegte sich. Dann erschien das Gesicht von Roses Zofe.

»Es ist ein Mädchen, Mylord«, berichtete sie. »In ein paar Minuten …«

»Wie geht es Lady Rose?«, unterbrach er sie.

»Mylady ist erschöpft, aber glücklich. Sie wird Euch gleich empfangen.« Damit schloss sie die Tür.

Endlich fiel ihm das Atmen wieder leichter.

Jeremy trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich gratuliere Euch von Herzen.«

Sebastian schluchzte auf und umarmte seinen Vater. In diesem Moment sollte es ihm gestattet sein, der Dankbarkeit in seinem Herzen Ausdruck zu verleihen. »Ein Mädchen. Gott hat mir eine Tochter geschenkt.«

»Eure Ehefrau hat Euch dieses Geschenk gemacht. Vergesst das nie.«

Jeremy löste sich viel zu schnell wieder von Sebastian. Er wartete in seiner Nähe, bis das Kind gewaschen und Rose versorgt worden war. In diesen Minuten, die Sebastian wie Wochen vorkamen, ging er vor der Schlafzimmertür auf und ab. Er blieb stehen, um mit Staunen den Geräuschen seiner neugeborenen Tochter zu lauschen. Er versuchte das Chaos in seinem Inneren unter Kontrolle zu bringen.

Endlich öffnete sich die Tür zu Roses Schlafzimmer neuerlich, und er wurde eingelassen. Der Arzt versicherte ihm, dass Rose und das Kind die Strapazen gut überstanden hätten, ihnen allerdings in den nächsten Tagen Ruhe verordnet worden war. Sebastian dankte dem Arzt und bat Jeremy, den Mann nach unten zu bringen. Er selbst schickte alle anderen aus dem Raum. Dann trat er an das Bett.

Rose wirkte inmitten der Kissen furchtbar blass. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Eine feuchte Haarsträhne lugte unter ihrer Haube hervor. Rose hielt ein kleines Bündel im Arm und strahlte ihm trotz aller Müdigkeit freudig entgegen.

Sebastian suchte in seinem Herzen nach den freundschaftlichen Gefühlen, die er einmal für diese Frau empfunden hatte. Doch im Augenblick füllte lediglich Mitleid für seiner Gattin seine Gedanken.

»Wie fühlst du dich?«, erkundigte er sich und blieb etwas ratlos neben Rose stehen.

»Ich bin glücklich, dass es überstanden ist. Willst du sie sehen?«

Mit klopfendem Herzen beugte er sich vor und warf einen Blick auf seine Tochter. Rose half ihm, als er das Bündel hochhob und an seine Brust drückte. Kleine Finger griffen in die Luft, als wollten sie das Leben an sich ziehen. Das strahlende Blau der wachen Augen raubte ihm den Atem. Der kleine, rosa Mund machte ein schmatzendes Geräusch. »Sie ist so unglaublich winzig.«

»Der Arzt meinte, dass sie genau die richtige Größe besäße.«

Sebastian hob den Blick zu seiner Gattin. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Du musst dich schonen, wie es der Arzt befohlen hat.«

Roses Wangen gewannen ein wenig an Farbe. »Natürlich. Ganz wie du wünschst.«

Er nickte und betrachtete dann wieder das kleine Wesen. »Eine Tochter.«

»Beim nächsten Mal werde ich dich nicht enttäuschen. Ich werde dir einen Sohn schenken.«

Vorsichtig strich er über die zarte Wange seiner Tochter. Er empfand keine Enttäuschung. »Es wird kein nächstes Mal geben, Rose.«

»Es tut mir leid, wenn ich die Schmerzen nicht so tapfer ertragen haben sollte, wie du es von mir erwartet hast. Angeblich soll es beim zweiten Kind leichter sein. Du wirst auch während der Schwangerschaft keine Beschwerden mehr von mir hören. Ich werde mein Bestes geben. Ich werde besser sein.« Sie brachte ihre Versprechen ängstlich hervor.

»Da bin ich mir sicher.« Er lächelte, als der Säugling in seinen Armen das Gesichtchen verzog. Beglückung und Liebe zu diesem Wesen fluteten sein Herz. »Ich werde nicht noch einmal bei dir liegen, Rose.«

»Aber … willst du denn keinen Erben?« Ihre Stimme klang erschrocken, doch er sah nicht zu seiner Frau.

»Es gibt nicht viel in meinem Leben, was ich entscheiden darf. Nicht mehr mit dir zu schlafen, gehört allerdings auf jeden Fall dazu.«

»Die Leute werden eine neuerliche Schwangerschaft erwarten.«

Ein trockenes Lachen kam über seine Lippen. Er hatte das Bedürfnis, sie zu verletzen und schreckte dafür vor einer Lüge nicht zurück. »Denkst du wirklich, mich interessiert, was man über uns und unsere Ehe denkt? Da du ein Kind geboren hast, musst du nicht fürchten, die Gesellschaft könnte mein Geheimnis entdecken. Niemand wird herausfinden, warum dein Bruder so überstürzt nach unserer Heirat das Land verlassen hat. Mehr solltest du nicht erwarten.«

Rose schluchzte auf. Sollte sie nur bereuen, was sie getan hatte. Niemand außer ihr trug Schuld an dieser Entwicklung. Es war nicht seine Aufgabe, ihre Tat zu entschuldigen oder sie die Folgen leichter ertragen zu lassen.

»Unsere Ehe wird bestehen bleiben. Ich werde dich und unser Kind nicht verlassen und für euch da sein. Auch wenn ich das Versprechen nicht ohne Zwang abgegeben habe, werde ich mich daran halten. Aber lieben oder begehren muss ich dich nicht.« Endlich blicke er hoch in ihr trauriges, hoffnungsloses Gesicht. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hatte eine Hand zur Faust geballt und vor ihren Mund gedrückt, um jeden Laut zu unterdrücken. Eine kleine Stimme in seinem Inneren flüsterte ihm zu, sie genug verletzt zu haben. »Wir werden unseren Frieden miteinander machen.«

»Ich danke dir«, presste seine Ehefrau hervor.

Und Sebastian spürte, wie er von Dunkelheit umhüllt wurde.

[…]

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