Weihnachten zu zweit
»Ich befinde mich schon auf der Zielgeraden für Weihnachten. Wie sieht es bei dir aus?«, frage ich über meine Schulter, während ich die letzten Lebensmittel aus den Einkaufstüten im Kühlschrank verstaue. Es fühlt sich immer noch seltsam an, nur für Adrian und mich zu kochen, während wir unterwegs sind. Zum Glück dauern meine Lesereisen, die wir mit seinen Konzerten verbinden, nie länger als zwei Wochen. Gerade vor den Feiertagen vermisse ich Konstantin und Jonathan schrecklich. Dabei weiß ich, dass meine Söhne von ihren Großeltern und ihrer Patentante gerade maßlos verwöhnt werden.
Adrian greift an mir vorbei nach einer Packung Wurst, reißt sie auf und steckt sich eine Scheibe in den Mund. »Willst du auch, Süßer?«, fragt er als Antwort auf meinen strengen Blick und lässt die Packung vor mir schweben. Seine braunen, gerade nicht hochgegelten Haare sind in Unordnung geraten. Seine Spitzen hat er schon lange nicht mehr blondiert. Ich mag, dass er dadurch ernsthafter aussieht. Vorsichtig zupfe ich seine Haare zurecht.
»Danke nein«, antworte ich dann. Rasch packe ich die restliche Wurst ein und gebe sie in den Kühlschrank. Dann räume ich die Tüten weg. Mit einem Seufzen überlege ich, ob ich etwas vergessen habe.
»Mein Magen knurrt schon seit einer Stunde«, berichtet Adrian. »Du bist einfach nicht fertig geworden, aber jetzt brauche ich was zwischen die Zähne.« Er schiebt die Tiefkühlpizza, die wir während unserer Shoppingtour in den Einkaufswagen geschmissen haben, in den Ofen.
Der Geruch, der mir dabei in die Nase steigt, weckt auch meinen Hunger. Es ist wirklich anstrengend, sich während der turbulenten Tage vor Weihnachten durch die Läden zu quälen.
Adrian lehnt sich an die Arbeitsplatte und mustert mich mit einem Lächeln. »Zurück zu deiner Frage, ob ich alles für Weihnachten erledigt habe: Den ersten Adventmarkt haben wir schon besucht. Der Glühwein war nicht besonders, aber ich bin trotzdem schon in Weihnachtsstimmung. Endlich ein paar Tage ausspannen und nichts tun. Keine Auftritte. Keine kreischenden Fans. Kein Katzenjammer und kein Brummschädel am nächsten Morgen.«
»Hast du schon alle Geschenke besorgt?«, erkundige ich mich.
Ungläubig lacht er auf. »Du willst, dass ich dir was schenke? Außer den vorhin gekauften Badekugeln, die ich heute noch mit dir benutzen möchte? Wie wäre es mit einer weiteren unvergesslichen Nacht in meinen Armen?«
Seine eisgrauen Augen funkeln intensiv, bevor er sich von der Arbeitsplatte abstößt und hinter mich tritt. Als er sich an meinen Rücken schmiegt und mich umarmt, beschleunigt sich mein Puls. Sein drahtiger, schlanker Körper fühlt sich perfekt an meinem an. Innerhalb eines Flügelschlages erhitzt das Begehren das Blut in meinen Adern. Ich schließe die Augen und genieße die Nähe für ein paar Sekunden.
»Das klingt großartig. Ehrlich«, sage ich schließlich leise. Wir haben so selten Zeit für uns zwei allein. Auf Tour kehrt nur wenig Ruhe ein. Darum möchte ich die Stimmung nicht zerstören. Aber das hier ist wichtig. »Was ist mit deinen Eltern? Willst du mit leeren Händen vor ihnen stehen? Und die Jungs wären auch enttäuscht, wenn du ihnen nichts mitbringst. Vielleicht kaufe ich den beiden Luftgitarren, damit sie mit dir abrocken können.«
»Wir verbringen das erste Weihnachten als Familie und du glaubst, ich vergesse die Geschenke? Für wen hältst du mich? Ich habe mir natürlich etwas überlegt.« Seine Stimme klingt fast beleidigt. Er drückt mich fester.
Ich drehe mich in seinen Armen herum, um ihn ansehen zu können. Erleichtert, dass er die Feiertage nicht auf die leichte Schulter nimmt, flutet mich. »Sag schon.«
»Luftgitarren sind nicht schlecht, reichen allerdings noch lange nicht. Die Jungs haben doch kürzlich am Telefon erzählt, wieviel Spaß ihnen das Ritterspielen gemacht hat. Darum würde ich ihnen gern ein Katapult organisieren. Wir stellen im Wohnzimmer einen Kletterturm auf und …«
»Kommt nicht in Frage!«, unterbreche ich ihn rasch, als allein die Vorstellung ein unangenehmes Grummeln in meinem Magen verursacht. Meint er das ernst? »Da muss ich leider die Rolle des Spielverderbers übernehmen. Du hast dafür gesorgt, dass ich nicht als totaler Langweiler ende und ein wenig Aufregung in unserem Leben zulasse. Durch dich traue ich den Jungs mehr zu, aber unser Wohnzimmer wird bestimmt kein gefährlicher Abenteuerspielplatz!«
Adrian lacht und reibt seine Nase an meiner. In seinen Augen lese ich tiefe Zufriedenheit. »Verstanden. Wie gut, dass das nur Plan Y oder Z gewesen wäre. Stattdessen habe ich ein persönlicheres Geschenk für jeden von euch dreien. Nicht umsonst bin ich ein Rockstar.«
Kopfschüttelnd verdrehe ich die Augen bei dieser Bezeichnung. Bis es so weit ist, müssen Crazy so far! noch ein paar CDs verkaufen. Der große Durchbruch lässt noch auf sich warten, aber bestimmt dauert es nicht mehr lange, bis er von der ganzen Welt geliebt wird. Auch jetzt wird er hin und wieder von Fans auf der Straße erkannt. Ein wenig eifersüchtig werde ich bei dem Gedanken schon, auch wenn ich dazu keinen Grund habe. Dieser wundervolle, herzenswarme Mann gehört jetzt zu mir. Auch wenn ihn andere bewundern, bin ich der Kerl, mit dem er nach einem Konzert nach Hause geht.
Dann wird mir klar, was er angedeutet hat. Mein Herz überschlägt sich. Hoffentlich liege ich richtig. Weiß er, womit er mir immer eine riesige Freude machen kann? »Du hast ein Lied für uns komponiert?«
»Falsch«, korrigiert er und beugt sich für einen schnellen Kuss nach vorn. »Ich habe eines für jeden von euch aufgenommen. Vielleicht kriegst du eine Kostprobe von deinem, wenn du zu mir ins Wasser steigst, das ich gleich in die Badewanne einlasse.«
Jetzt bin ich neugierig. Die Vorfreude breitet sich in mir aus. Ich liebe es, Privatkonzerte von ihm zu bekommen. Besonders, wenn wir dabei nackt sind. »Das klingt großartig. Ich komme in ein paar Minuten mit der Pizza und zwei Gläsern Rotwein nach.«
Adrian nickt und lässt mich los. Bevor er durch die Tür tritt, rufe ich seinen Namen. Fragend blickt er zurück.
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. »Ich liebe dich, Adrian.« Es fällt mir inzwischen so leicht, die Worte auszusprechen. Auch wenn ich am Anfang damit zu kämpfen hatte, mich in einen Mann verliebt zu haben, wusste ich von Anfang an, dass ich ihn nicht verlieren möchte. Ich hatte Angst vor dem, was sich dadurch in meinem Leben ändern würde. Dabei bin ich gerade so glücklich wie noch nie. Jetzt gehört Adrian fix zu meinem Leben und dem meiner beiden Söhne. Ich kann ihm nicht oft genug sagen, wie viel er mir bedeutet. Die Art, wie seine Augen zu leuchten beginnen, als ich ihm meine Liebe gestehe, flutet mein Herz mit Wärme.
»Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich liebe, Tobias«, gibt er zurück und zwinkert. »Sobald du nackt bist, werde ich dir zeigen, wie verrückt ich nach dir bin.« Zwinkernd verschwindet er um die Ecke.
Lächelnd hole ich zwei Gläser aus dem Schrank und öffne den Wein. Meine verstorbene Frau Annabell und ich haben früher einen Traum geteilt: ein riesiges Haus mit Kristallleuchter im Wohnzimmer, der bis in die dunkelste Ecke leuchtet, einem Blumenmeer im Garten und Musik von Ravel, die im ganzen Haus erklingt, während wir von der offenen Terrasse aus den Sonnenuntergang beobachten.
Mit Adrian haben sich meine Visionen für die Zukunft geändert. Er ist zu dem Licht geworden, das die Finsternis in mir vertreibt. Wenn ich ihm in die Augen sehe, kann ich den Frühling in meiner Seele spüren. Mein Innerstes ist mit Musik erfüllt, ohne dass er den Mund öffnen muss. Es spielt keine Rolle, ob wir leben. Wir tanzen zu unserem ganz eigenen Lied. Diese Tage des Glücks sollen nicht mehr enden.
Angenehme Wärme breitet sich in mir aus, als ich mir bewusst mache, wie perfekt sich unser Leben gestaltet. Ich mag die schnuckelig kleinen Unterkünfte, in denen wir die Zeit zwischen den Auftritten seiner Band und meinen Lesungen verbringen. Auch wenn ich meine Söhne vermisse und manchmal ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich eine Woche durchgehend unterwegs bin, weiß ich zu schätzen, dass ich mich selbst verwirklichen kann. In ein paar Tagen fahren Adrian und ich wieder nach Wien. Wir feiern Weihnachten daheim mit meinen beiden Jungs als kleine, unperfekte Familie. Das ist alles, was ich brauche.
Glück erfüllt mich bis in die Zehenspitzen. Ich hole die Pizza aus dem Ofen und schneide sie in Stücke. Dann schenke ich Wein in die beiden Gläser und stelle alles auf ein Tablett. Plötzlich ungeduldig gehe ich zu meiner großen Liebe nach nebenan. Mein Herz überschlägt sich, noch bevor ich ihn nackt in der Wanne entdecke.
Er lächelt mir voller Liebe entgegen und streckt die Arme nach mir aus. Rasch stelle ich das Tablett ab und schlüpfe aus meiner Kleidung. Dann steige ich in die Wanne zu Adrian.
»Lass mich dich füttern«, schlage ich vor und halte ihm ein Stück Pizza vor die Nase, damit er abbeißen kann.
Während er seinen Hunger stillt, mustere ich ihn. »Welche Art von Lied hast du dir für mich überlegt?«, frage ich aufgeregt.
Er lacht auf und nimmt einen Schluck von seinem Weinglas. »Etwas furchtbar Romantisches.« Langsam schiebt er unter Wasser seine Hand von meinem Knie aufwärts und streicht über meine Haut. Seine Augenbrauen hüpfen. »Ich kann das Stück aber nur vortragen, wenn du dich um die Melodie kümmerst.«
Seine Berührungen lenken mich ein wenig ab, sodass es dauert, bis ich antworte. »Du weißt, dass ich nicht sonderlich musikalisch bin«, erinnere ich ihn.
»Das musst du nicht sein. Lass mich einfach dafür sorgen, dass dein Stöhnen den richtigen Rhythmus vorgibt.«
»Bestimmt schaffen wir es gemeinsam.« Hitze, die nichts mit dem warmen Badewasser zu tun hat, lässt meine Wangen glühen. »Wir komponieren sicherlich ein perfektes Lied. Immerhin schlägt auch mein Herz bereits in deinem Takt.«
***
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