Ich bin alt. Richtig alt. Manchmal habe ich Schwierigkeiten, das Geburtsdatum auf meinen Dokumenten mit mir in Verbindung zu bringen. In der Jugend denkt man an Menschen über vierzig als weise, zurückhaltend und gereift. Nichts davon trifft auf mich zu. Obwohl ich der Fünfzig nahe bin, verhalte ich mich manchmal unvernünftig, bin kindisch, lache zu laut über Albernheiten und will mich überhaupt nicht meinem Alter entsprechend verhalten. Muss man darauf achten, sich zurückhaltend zu kleiden? Muss man überlegen, ob eine verrückte Haarfarbe irgendwann übertrieben wirkt? Meiner Meinung nach sollte man auf sein eigenes Herz hören und sein inneres Kind umarmen. Das Leben selbst ist viel zu ernst. Es gibt so viele Dinge, die wir nicht beeinflussen können. Warum sollen wir nicht das Abenteuer genießen, in dem wir uns befinden?

Meine persönliche Veränderung
Verändert hat mich das Alter sehr wohl. Wer mich kennt, weiß genau, dass ich viel zu viel über Kleinigkeiten grüble ich. Als introvertierter, komplizierter Mensch mache ich mir ständig Gedanken, wie ich auf andere wirke, wenn ich keine Verbindung zu jemandem aufbaue. Früher habe ich eine Rolle gespielt und nicht gezeigt, wie ich mich wirklich fühle. Einige Erfahrungen haben ihre Narben hinterlassen. Es hat gedauert, mich selbst so zu lieben, wie ich bin. Wieso sollte es eine kurze Bekanntschaft tun? Damals habe ich erlebt, dass es den meisten Mitmenschen egal ist, wenn sie mein echtes Ich nicht kennenlernen, solange sie sich in meiner Gesellschaft wohlfühlen und davon profitieren. Inzwischen erlaube ich mir, meine Eigenheiten zu feiern. Wer mit meinem Charakter und meinen Hobbies ein Problem hat, passt nicht zu mir. Ich muss mich nicht anpassen, damit man mich mag. Meine Familie akzeptiert mich, so wie ich bin, und das ist die Hauptsache.

Schreiben ist eine wertvolle Erfahrung
Auch beim Schreiben merkt man mein Alter. Als Autorin war ich eigentlich keine echte Spätstarterin. Die Gedichte, die ich als Teenager geschrieben habe, darf man niemandem zumuten. Doch dann habe ich mit achtzehn begonnen, ernsthaft an Projekten zu schreiben. Es hat ewig gedauert, bis ich etwas fertiggeschrieben hatte. Ich hatte das Gefühl, dass es mir an Erfahrung fehlt. Wie sollte ich über etwas schreiben, das ich nicht selbst erlebt habe? Natürlich habe ich auch jetzt noch keinen Mord begangen, aber dank der Dinge, die ich erlebt habe, kann ich mich in jeden meiner HeldInnen hineinversetzen. Mit achtundzwanzig habe ich mein erstes Buch veröffentlicht. Da war ich nicht wirklich früh dran, aber damals gab es noch keine zahlreichen Möglichkeiten für Selfpublishing wie es jetzt der Fall ist. E-Books waren damals überhaupt noch nicht populär. Die technischen Entwicklungen haben erst später stattgefunden.

Technik? Welche Technik?
Manchmal beneide ich meine Kinder. In der Oberstufe musste ich Telefonate über das Festnetz führen, weil ich kein Handy hatte. Ich bin ohne Internet aufgewachsen. Wollte man später eine der wenigen Seiten aufrufen, musste man sich erst ins Netz einwählen und konnte nicht gleichzeitig telefonieren. Recherchen waren nur in der Bibliothek möglich, weil das Internet noch keine Infos bereitgestellt hat. Den Begriff Social Media gab es noch nicht. Keine Grafikbearbeitungsprogramme haben es ermöglicht, kreativ zu sein. Der Computer, auf dem ich getippt habe, brauchte ewig beim Speichern. Der Bildschirm war größer als heutige Mikrowellen. Als ich mein erstes Buch veröffentlicht habe, gab es lediglich BoD als Plattform. Kindle direkt publishing für den deutschsprachigen Bereich kam erst viel später. Zum Zeitpunkt meiner ersten Veröffentlichung gab es E-Books nur als Zusatzoption und keine große Readerauswahl. Ich musste mit wenig arbeiten, aber es hat trotzdem geklappt.

Braucht es eine Schlussfolgerung?
Ja, ich bin alt. Richtig alt. Dank meines Alters habe ich Erfahrungen gesammelt, die mir andere Perspektiven ermöglichen. Für mich ist es nicht selbstverständlich, als Selfpublisher arbeiten zu können. Ich habe den einen oder anderen Fehler gemacht, den ich gern vermieden hätte. Als Autorin hatte ich mein ganz eigenes Tempo, das mich geformt hat. Irgendwann werde ich zurückblicken und das wunderschöne Bild sehen, dass ich erschaffen habe. In der Zwischenzeit genieße ich die Reise. Und vernünftig werde ich noch lange nicht!
