Buchbesuch: Als der Earl of Broomfield aus „Das verbotene Verlangen des Earls“ die Gegenwart heimlich beobachtet hat
Sebastian, Earl of Broomfield, starrte auf das Blatt Papier vor sich. Er war dabei, einen Brief an eine weitschichtig Verwandte zu verfassen, die er in Kindertagen Cousine genannt hatte. Clarissa hatte ihm letzte Woche geschrieben und gebeten, dass er ein gutes Wort bei seinem Stiefvater einlegte, damit sie während der Saison für ein paar Tage zu Besuch kommen durfte. Ihre Familie war nicht reich genug, um ihr ein Debut in London zu ermöglichen, weshalb Sebastian die Bitte durchaus nachvollziehen konnte. Doch er war nicht in der Lage, mit seinem Vater darüber zu sprechen. Auch wenn Sebastian Clarissa gern geholfen hatte, wäre es besser für sie, nicht in die Nähe des Monsters zu gelangen. Er wollte sich nicht vorstellen, wozu sein Stiefvater in der Lage wäre, sollte die junge Frau sein Missfallen erregen.
Aus diesem Grund versuchte er nun schon seit mehreren Tagen, eine Antwort zu formulieren, in der er weder zu gleichgültig klang, noch zu deutlich seinen Stiefvater betreffend wurde. Wie sollte Sebastian Clarissa begreiflich machen, dass sie hier Gefahr lief, körperlich und seelisch misshandelt zu werden? Auch wenn er ihr gern helfen würde, wäre es besser für sie, wenn sie sich an jemand anderen wandte. Ob er ihr jemanden vorschlagen konnte? Und welchen Vorwand sollte er benutzen, damit sie nicht verärgert reagierte? Seinen Stiefvater um Hilfe zu bitten, kam nicht infrage. Dieser Mann würde sich lediglich über die Hoffnungen der jungen Frau lustig machen.
Frustriert legte Sebastian die Feder zur Seite und rieb sich müde über das Gesicht. Seine Augen schmerzten, weil er sich dermaßen auf ein weißes Blatt konzentriert hatte. Wenn er diesen Brief bloß endlich fertiggestellt hätte! Wenn er seinen Stiefvater nur nicht so fürchten müsste! Wenn es zumindest einen Funken Hoffnung in seinem Leben gäbe!
Leise stöhnend presste er den Handballen auf seine geschlossenen Lider. Dass er dabei leichten Schmerz verspürte, war ihm nur recht. Er wollte sich nicht in Selbstmitleid verlieren. Jetzt galt es, sich auf das aktuelle Problem zu konzentrieren. Sobald die Lichtblitze hinter seinen geschlossenen Augen abebbten, wurde er von angenehmer Schwärze umfangen. In diesen Frieden ließ er sich ganz fallen und genoss die Stille und das Losgelöstsein von allen Problemen.
Der Druck auf seine Lider nahm zu, obwohl er seine Hand nicht mehr so fest darauf presste. Etwas zog an seinen Augäpfeln. Eine geheimnisvolle Macht griff durch Zeit und Raum nach ihm. Seine Sinne drohten ihm zu schwinden.
Nicht schon wieder! Er kannte dieses Gefühl inzwischen. In den vergangenen zwei Monaten hatte er es immer wieder erlebt. Gleich würde er an einen anderen Ort reisen. Leider hatte er keine Ahnung, warum das mit ihm passierte, doch jedes Mal empfand er eine Mischung aus Angst und Aufregung. Einerseits wurde er von der Furcht geplagt, diese Erlebnisse könnten seinem Körper Schaden zufügen, der ihn für immer veränderte. Andererseits durfte er kurz aus seinem farblosen, zermürbenden Alltag fliehen und ein Abenteuer erleben, das ihm niemand glauben würde. Ob er sich darauf einlassen wollte oder nicht, spielte keine Rolle. Es gab nichts, was er tun konnte, um diese seltsame Erfahrung zu verhindern.
Mit klopfendem Herzen nahm er seine Hände von seinen Augen und öffnete seine Lider. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte er das Arbeitszimmer und den Schreibtisch, an dem er gearbeitet hatte, vor sich sehen. Dann verschwamm seine Sicht und ein gleißendes Licht blendete ihn. Die Umgebung war unscharf und seltsam verzerrt. Zwei Glasscheiben erschienen wie durch Magie vor ihm, erst dann sah er wieder besser.
Natürlich kannte er Brillen, doch dieses Exemplar war anders. Es hatte keinen Rahmen und wirkte viel filigraner gearbeitet als alles, was er jemals in der Hand gehabt hatte. Er hatte sich in den vergangenen Wochen zusammengereimt, dass er durch irgendeine magische Verbindung mit dieser Brille durch die Augen eines anderen Menschen blicken konnte. Und diese Person lebte in einer Welt, die sich deutlich von der seinen unterschied. Die Sehhilfe wurde von zwei Händen, die nicht ihm gehörten, auf seine Nase gesetzt und plötzlich war die Umgebung klar erkennbar.
Eine Stiege, die nicht völlig aus Holz bestand. Farbige Wände, die rau wirkten. Fliesen auf dem Boden, die nicht aus Marmor waren. Ein Türsturz aus dem gleichen Holz wie die Trittflächen der Stufen. Er stand wohl in einer kleinen Eingangshalle. Vielleicht der Personaleingang?
Durch die offene Tür konnte er einen Blick auf einen Parkettboden werfen. Mehrere Pflanzen neben und auf Möbelstücken ließen das Zimmer gemütlich wirken. Er bemerkte Dekoration, die für ihn beinahe exotisch wirkte. Wie es wohl wäre, dort zu leben?
Er hatte diesen Ort schon mehrmals besucht. Auch wenn er immer noch den Stuhl unter seinen Beinen spürte und seine Hände die Schreibtischplatte ertasten konnten, befanden sich seine Augen in einer anderen Welt. Beinahe bereute er es, als der Träger der Brille sich drehte und Sebastian beobachten konnte, wie eine fremde Hand nach Autoschlüsseln griff und sich dann der Eingangstür zuwandte.
„Ich fahre jetzt los!“, rief eine Frauenstimme. „Bis später!“
Ein Mann antwortete für Sebastian nicht klar Verständliches, bevor die Frau mit der Brille das Haus verließ. Hatte sich ein anderer Angestellter von ihr verabschiedet? Die Gebäude, die jetzt in seinem Sichtfeld erschienen, wirkten ungewöhnlich klein und wenig eindrucksvoll. Bevor er die Vorgärten in Ruhe bewundern konnte, wurde er Stufen nach unten getragen. Eine Straße, die nicht wie in London mit Backsteinpflaster befestigt worden war, führte an dem Haus vorbei, aus dem die Frau gekommen war. Sie ging auf eine auf unerklärliche Weise abgerundete Kiste mit vier Rädern zu.
Erst klappte sie eine Tür auf, um eine Tasche auf einen Stuhl zu werfen. Dann schloss sie die Tür, ging um das Gefährt herum und öffnete eine andere Tür. Mit geübten Bewegungen kletterte sie in die ungewöhnliche Kiste und hantierte mit einem Schlüssel. Ein lautes, unheimliches Geräusch erklang, während eine Erschütterung durch die Frau lief. Sebastian riss die Hände hoch und hielt sich die Ohren zu. Obwohl er schon einmal in dieser Situation gewesen war, fühlte er sich überfordert.
Dieser Lärm war unerträglich. Keine Ahnung, welches Gerät dieses Rumpeln von sich gab. Dass gleichzeitig auch noch wirklich seltsame Musik ertönte, machte alles nur noch schlimmer. Der Rhythmus war schnell. Instrumente, die er nicht kannte, spielten eine ungewöhnliche Melodie, während eine hohe Frauenstimme unangebrachte Dinge sang. Wie skandalös! Sebastian wünschte, er könnte gänzlich in seine Gegenwart zurückkehren, doch solange die Frau die Brille aufsetzte, war er mit ihr verbunden.
Ein Glück, dass sie das Gestell nicht immer trug. Er würde es nicht ertragen, sein Leben in diesem nervenaufreibenden Zustand der Zerrissenheit verbringen zu müssen. Doch ein unerkennbarer Zauber hielt ihn zwischen den Welten fest.
Der Geräuschpegel nahm noch einmal zu. Die Kiste setzte sich in Bewegung und rollte von der Rasenfläche, auf dem sie gestanden war, auf die Straße. Als die Frau das ungewöhnliche Gefährt noch einmal beschleunigte, konnte Sebastian ein entsetztes Aufstöhnen nicht verhindern. Am Gehweg passierten sie Frauen in Hosen, was ihn fürchterlich aufbrachte. Offensichtlich wusste an diesem Ort niemand, wie man sich anständig kleidete. Viel zu schnell rauschte die Umgebung an ihnen vorbei, als sie die Häuser schließlich hinter sich ließen. Weite Felder und vereinzelte Bäume ließen die Umgebung eigentlich ganz hübsch wirken, doch darauf konnte er sich nicht konzentrieren. Sein Blick musste auf die Straße gerichtet bleiben, was auch besser so war. Andere Kisten in unterschiedlichen Farben überholten und kamen ihnen entgegen. Er stöhnte ängstlich auf.
Nein, das gefiel ihm gar nicht. Ein Glück, dass die Frau einer Kollision immer wieder entging! Wie gefährlich es trotzdem war, dieses Tempo beizubehalten! Wenn die Verbindung doch bloß abreißen würde, damit ihm dieser Albtraum erspart blieb!
…
Was weiter passiert, erfährst du in nächsten Teil der Reihe.
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„Das verbotene Verlangen des Earls (Der Gentleman seines Herzens Teil 1)“ von Ester D. Jones
Sebastian, Earl of Broomfield, lebt seit Jahren in Angst und Schrecken unter den strengen Augen seines Stiefvaters. Der verlangt nun, dass Sebastian sich auf die Suche nach einer vermögenden Ehefrau macht. Doch als Sebastian und Lady Rose sich näherkommen, erweckt das die Missbilligung ihres Bruders.
Lucian, Earl of Westminster, ist überzeugt, dass Sebastian kein geeigneter Ehemann für seine Schwester darstellt. Als Sebastian anbietet, Lucian von seinen ernsten Absichten zu überzeugen, willigt er nur widerwillig ein.
Je mehr Zeit sie miteinander verbringen, umso stärker fühlt sich Lucian zu der Ernsthaftigkeit und dem künstlerischen Feingefühl des jungen Sebastian hingezogen. Doch was passiert, wenn aus der Zuneigung der beiden Earls Verlangen wächst, das sie in Gefahr bringen kann?
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Hier findest du eine Leseprobe zum Buch: „Das verbotene Verlangen des Earls“